Beobachtungen aus der Digitalisierung der Öffentlichen Hand
Ok, als Quereinsteiger aus dem Startup Bereich ist Öffentliche Hand schon eine ganz andere Kultur, die man erst einmal lernen muss. Aber ich bin sehr freundlich aufgenommen worden. Wo anders, als in Stadtverwaltungen kann man an der Basis die Berufung "Gemeinwohl-orientierter Software Entwickler" besser umsetzen?
Was ich in den letzten 3 Monaten gelernt habe
… war ein Schock! Meine Hochachtung gilt den vielen Menschen, die in den Verwaltungen Tag für Tag Hochleistungen vollbringen. Was für eine Frustrationstoleranz braucht man dafür.
Eine Vielzahl an teils extrem alt aussehender Windows-Software, schlechte UI, von UX gar nicht zu sprechen, ohne Schnittstellen, geschlossene Datenformate, Dienstleister mit langen Reaktionszeiten wegen Überlastung, Mehrarbeit durch Wechsel zu "billigerer" Software, weil das Budget mehr nicht hergibt.
All das führt dazu, dass an sich einfache Verwaltungsprozesse müssen mit zahlreichen Medienbrüchen geführt werden. Keine Seltenheit ist folgendes Verfahren:
- Antragsformular als PDF kann heruntergeladen werden
- Antrag muss ausgedruckt und unterschrieben werden
- Antrag wird fotografiert und per E-Mail an die Verwaltung gesendet
- Verwaltungsmitarbeiter:innen müssen per Hand die Daten in eine Software für Fachverfahren übertragen
- Im Fachverfahren sind komplexe Interaktionen nötig, um den Prozess voranzubringen
- "Schriftliche" Artefakte aus den Fachverfahren müssen in eine E-Mail an die antragstellende Person kopiert und versandt werden
- Daten aus dem Fachverfahren müssen von Hand in das Rechnung-erstellende System übertragen werden
- Verwaltungsmitarbeitende drucken dann die Rechnung wieder aus, kuvertieren und versenden mit der Post an die Bürger:in
Das geht doch eigentlich besser - oder?
Ja. Und nein.

Das Ziel dieser Konzeptskizze war die OpenSource Entwicklung einer Software zur Prozessbegleitung von A wie Antrag bis Z wie Zustellung. Die Entwicklung ruht wegen fehlender Finanzierung.
Klar könnte die öffentliche Hand zum Beispiel mit einer standardisierten menschenlesbaren Beschreibungssprache für Verwaltungsprozesse ihre Handlungen beschreiben.
Klar könnten OpenSource Entwickler:innen Module entwickeln, die diese Beschreibungen automatisch in Software umsetzen und auf eine "Verwaltungscloud" ausliefern
Klar könnten UX Expert:innen für eine bediener:innenfreundliche und barrierefreie Umsetzung sorgen
Klar könnte das eine Verwaltungsplattform aus einem Guss geben.
Allerdings nicht, wenn man die Rahmenbedingungen im kommunalen Bereich anschaut: Keine mittlere oder auch grössere Kommune hat Kompetenz und Budget, um so eine Aufgabe zu stemmen. Niemals im aktuellen Angesicht von im freien Fall befindlichen kommunalen Haushalten.
Thilak Mahendran hat in seiner Studie über den Deutschland-Stack prima aufgezeigt, dass es dafür Willen und Koordination und, ja, auch viel Aufwand braucht. Ein Deutschland-Stack, der dann dezentral mit OpenSource Software nach sinnvollen Standards gefüllt wird, ist für uns leider noch Neuland.
Aber ehrlich: Sowas sollten wir doch hinbekommen?